
Klasnic: "Diese Kommission braucht es auch in Zukunft"
Bei der Unabhängigen Opferschutzkommission ("Klasnic-Kommission") kommt es zu einem Leitungswechsel. Waltraud Klasnic, die die Kommission seit ihrer Einrichtung 2010 geleitet hat, wird diese Funktion mit Jahresende zurücklegen. Ihr folgt Caroline List nach. List ist Präsidentin des Landesgerichtes für Strafsachen Graz. Bis 2023 war sie Vorsitzende des Universitätsrats der Grazer Karl-Franzens-Universität. List ist seit Gründung Kommissionsmitglied und hat die Arbeit schon bisher maßgeblich mitgeprägt. Diese Personalentscheidung wurde am Mittwoch von der Bischofskonferenz bekannt gegeben. Im Kathpress-Interview haben Klasnic und List übereinstimmend die Bedeutung der Arbeit der Kommission hervorgehoben und zugleich bekräftigt, dass es die Kommission auch weiterhin brauchen wird.
Sie sei dankbar, dass sie vor 15 Jahren die Möglichkeit hatte, "gemeinsam mit vielen verantwortlichen Menschen diese Kommission aufzubauen und 15 Jahre vorbereitende Arbeit für Menschen einzubringen, die enttäuscht, verletzt und eigentlich hoffnungslos gewesen sind", sagte Klasnic. Diese Arbeit müsse weitergehen: "Mit diesen 15 Jahren ist es nicht getan. Diese Kommission braucht es auch in Zukunft."
Klasnic weiter wörtlich: "Wir hatten grundsätzlich keine 'Fälle', sondern immer 'betroffene Menschen'. Und wir hatten auch keine 'Täter', sondern Beschuldigte. Wir sind eine zivilgesellschaftliche Organisation, kein Gericht."
80 Prozent von Missbrauch und Gewalt passierten in den Familien oder im persönlichen Umfeld, so Klasnic, viele weitere Fälle etwa auch in Vereinen. Nur rund 1,5 Prozent der Missbrauchsfälle würden auf den kirchlichen Bereich entfallen. Alle geschlossenen Systeme würden Missbrauch begünstigen. Klasnic ermutigte zugleich alle von Missbrauch in der Kirche Betroffenen, die sich bisher noch nicht bei den zuständigen kirchlichen Stellen gemeldet hätten, dies noch zu tun.
Aufarbeitung und Prävention
Die Statistik würde laut List zeigen, dass man es bei Missbrauch im kirchlichen Bereich vor allem - aber leider nicht nur - mit einem historischen Phänomen zu tun habe. Auch wenn der Großteil der früheren Fälle wohl aufgearbeitet ist, werde es noch Betroffene geben, die sich weiterhin an die kirchlichen Stellen wenden würden. Die meisten Beschuldigten seien in diesen Fällen schon tot. Bei Fällen aus der jüngeren Vergangenheit komme aber hinzu, dass Beschuldigte noch leben. Auf diesen Aspekt müsse bei der Aufarbeitung große Aufmerksamkeit gelegt werden.
Es sei immer ein Kernanliegen der Kommission gewesen, auch im Blick auf Prävention zu arbeiten. Das betreffen etwa die Priester-Ausbildung oder begleitende Maßnahmen für Menschen, die in der Seelsorge arbeiten. Gerade im Bereich der Prävention gebe es noch "jede Menge Platz für Neuerungen, die hilfreich sein können, sagte List: "Es ist wichtig, dass wir in Zukunft auch noch unsere Präventivschiene schärfen."
Klasnic wie auch List betonten auf Anfrage die Unabhängigkeit der Kommission. "Niemand, weder Kardinal Christoph Schönborn noch sonst jemand, hat sich in den Auswahlprozess der Mitglieder oder die Arbeit der Kommission in den vergangenen 15 Jahren eingemischt", sagte List.
Vorbildwirkung über die Kirche hinaus
Die Kommission habe mit ihrer Arbeit durchaus Vorbildfunktion über die Kirche hinaus, zeigten sich List und Klasnic überzeugt. List: "Unser Entschädigungssystem, das aus der Expertise aller Kommissionsmitglieder heraus erarbeitet wurde, ist inzwischen von praktisch allen staatlichen Institutionen übernommen worden, die Missbrauch und Gewalt in ihren Einrichtungen aufarbeiten." Es habe von außerkirchlicher Seite auch immer wieder Anfragen an die Kommission oder einzelne Mitglieder gegeben, bei Aufklärung und Prävention zu helfen, verdeutlichte Klasnic die Vorreiterrolle der Kommission.
Für ihre designierte Nachfolgerin fand Klasnic nur lobende Worte. List sei von Anfang an in der Kommission dabei gewesen, sie sei eine Expertin ersten Ranges: "Ich bin davon überzeugt, dass es der richtige Weg war, sie der Kommission als meine Nachfolgerin vorzuschlagen." Die Kommission habe sich auch einstimmig für List ausgesprochen. Mit diesem Vorschlag sei man dann an die zuständigen kirchlichen Verantwortlichen herangetreten.
In der Rahmenordnung der Bischofskonferenz für "Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt" ist festgeschrieben, dass die Beauftragung der Unabhängigen Opferschutzanwältin bzw. des Unabhängigen Opferschutzanwaltes durch den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz im Einvernehmen mit der bzw. dem Vorsitzenden der Österreichischen Ordenskonferenz für jeweils fünf Jahre erfolgt. Eine Wiederbeauftragung ist möglich.
Personelle Veränderungen
Fazit von Klasnic: "Ich bin überzeugt, dass es gut weitergeht, und ich meine Funktion in gute Hände übergebe." Sie wollte im Interview allen Kommissionsmitgliedern herzlich für ihr Engagement und ihre Expertise danken. Zwei der Mitglieder sind bereits verstorben: Brigitte Bierlein, die erste österreichische Bundeskanzlerin, und der katholische Publizist Hubert Feichtelbauer.
Wie List sagte, stünden bei der Kommission über Waltraud Klasnic hinaus weitere personelle Veränderungen an. Zwei Mitglieder, der Kinder- und Jugendpsychiater Werner Leixnering und der ehemalige Präsident des Jugendgerichtshofs, Udo Jesionek, werden sich mit Jahresende zurückziehen. Es gebe schon Überlegungen, neue Mitglieder aufzunehmen, es müssten aber nicht unbedingt wieder insgesamt acht Mitglieder sein.
Darauf angesprochen, dass nach Waltraud Klasnic auch künftig eine Frau die Kommission leiten wird, meinte List: "Ich verhehle nicht, dass ich mich einfach auch als Frau freue, dass wieder eine Frau Vorsitzende der Opferschutzkommission ist. Ich hoffe, dass ich die weibliche Expertise weitertragen kann und auch etwas weiter für Frauen tun kann, weil mir das persönlich einfach ein sehr großes Anliegen ist.
Hilfe für mehr als 3.000 Betroffene
Es sei in den vergangenen 15 Jahren gelungen, mehr als 3.000 betroffenen Menschen finanziell und therapeutisch zur Seite zu stellen, so der Koordinator der Kommission, Herwig Hösele, im Kathpress-Interview. Und was wohl noch wichtiger sei: Man habe diesen Personen das Gefühl der Anerkennung gegeben und ihre Würde gestärkt.
Dass von allen Missbrauchsfällen in der Gesellschaft nur ein Bruchteil in der Kirche passierte, diese zugleich aber medial im Vorgrund stand und steht, liegt nach Hösele an der wesentlich höheren moralischen Verantwortung der Kirche. Wer freilich glaubte, dass Missbrauch vor allem ein kirchliches Phänomen sei, liege falsch. Insofern sei es aber auch so wichtig gewesen, dass die Kirche - u.a. durch die Klasnic-Kommission - hier tätig wurde und mit gutem Beispiel voranging. Das habe auch zu einem wesentlich stärkeren gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein für die Problematik des Missbrauchs geführt.
Bei der Arbeit der Kommission handle es sich freilich nicht um ein Gerichtsverfahren, betonte Hösele. Er sprach von einer "Plausibilitätsüberprüfung", das natürlich eine "gewisse Unschärfe" mit sich bringe. Im Prinzip werde den Betroffenen geglaubt, wenn nicht graviereden Einwände dagegen sprechen würden.
Hösele ließ im Interview durchblicken, dass Waltraud Klasnic ihre Arbeit vor 15 Jahren überhaupt nur unter zwei Voraussetzungen angetreten hatte: "Dass die Kommission tatsächlich völlig unabhängig agiert, und dass die Entscheidungen der Kommission von der Kirche umgesetzt werden." Nachsatz: "Das ist in allen Fällen auch 1zu1 passiert." - Die von der Kommission zugesprochenen Entschädigungen wurden und werden von der kirchlichen Stiftung Opferschutz ausbezahlt. Es habe keine einzige Entscheidung der Opferschutzkommission gegeben, die nicht durch die Kirche umgesetzt wurde.
Quelle: kathpress