Katrin Brockmöller
Wie ich die Bibel lese? Sehr unterschiedlich, aber täglich. Die meisten Tage beginne ich mit einem Psalm. Ich versuche, mir einen Vers zu merken, der eine Botschaft für meinen Tag hat. Manchmal erinnere ich mich erst abends wieder daran, manchmal prägt er auch mein Verhalten in bestimmten Situationen. Manchmal vergesse ich den Vers auch während des Tages. Das ist eine Weise, wie ich die Bibel lese. Ich lasse mich ganz persönlich in meinem Leben ansprechen. Dabei verwende ich den Text wie einen Spiegel, in den ich schaue. Ich sehe darin, wie ich mich gerade fühle, was mich bewegt, was mir fehlt, wo ich ungerecht bin, wohin ich mich entwickeln möchte und auch wie Gott mich ansieht. Gleichzeitig lese ich die Bibel natürlich auch mit wissenschaftlich gebildeten Augen und Ohren. Ich bin in der glücklichen Lage die Originalsprachen zu verstehen, habe Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und Freude daran, die Texte auch als Dokumente einer vergangenen Welt zu lesen. Dabei interessiert mich vor allem die Frage, wie die Menschen damals gelebt und wie sie geglaubt haben. Spannend finde ich besonders, wie die Autoren der Schrift die Texte ihrer Kolleg/innen bewahrt, verändert oder gar neu gedeutet haben. Dabei beeindruckt mich, wie innerhalb des Kanons der biblischen Schriften unterschiedliche Positionen nebeneinander stehen können. Für mich eine Einladung, selbst weiterzudenken. Seit dem Erscheinen der überarbeiteten Fassung der neuen Einheitsübersetzung habe ich so etwas wie ein neues Hobby entwickelt. Durch eigenes Lesen oder durch Fragen, die uns im Bibelwerk gestellt werden, vergleiche ich ständig die beiden Fassungen. Gefällt mir die Veränderung und worin ist vielleicht ein neuer Akzent zu finden – eine für mich intensive Entdeckungsreise hat da begonnen.
Dr. Katrin Brockmöller
Direktorin Katholisches Bibelwerk e.V., Stuttgart